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Donnerstag, 4. März 2010

Jetzt steht von Beust im Fokus der Opposition

HA, Andreas Dey, 4. März 2010

"Herr Abgeordneter, machen Sie sich nicht zu viele Gedanken." Es waren Sätze wie dieser vom 2. Februar, gerichtet an den SPD-Finanzexperten Peter Tschentscher, mit denen Michael Freytag die Opposition auf die Palme bringen konnte. So demonstrativ von seinem Handeln überzeugt, ja, mitunter so herablassend wie der scheidende Finanzsenator und CDU-Chef tritt kaum ein aktuelles Senatsmitglied auf.

Ob er die HSH Nordbank als "im Kern gesund" bezeichnete, als sie das längst nicht mehr war, oder in öffentlicher Sitzung vollmundig ankündigte, jetzt komme zu dem Thema "alles auf den Tisch", obwohl dann doch einiges unter der Tischplatte blieb - Freytag schaffte es immer wieder, auch ohne Not Gegenwind hervorzurufen. Dass die Opposition zuletzt keine Gelegenheit ausließ, ihn für so ziemlich alles zu kritisieren und verantwortlich zu machen, was in der Stadt schieflief, verwunderte nicht. Ob berechtigt oder nicht - der Finanzsenator war für SPD und Linkspartei, aber auch für Gewerkschaften und die nicht im Parlament vertretene FDP die beliebteste Zielscheibe. Und auch wenn es niemand so direkt aussprach: Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss (PUA) zur HSH Nordbank hatte natürlich auch das Ziel, Freytag zu demontieren.

Dass er nun alle Brocken hinwarf - außer dem Senatorenposten auch den CDU-Landesvorsitz -, hing zwar nicht direkt mit dem PUA zusammen. Aber das Dauerfeuer hatte ihn zumindest zermürbt. Umso mehr stellt sich nun die Frage: Wer ist das neue "Ziel", wenn der Finanzsenator am 17. März sein Amt aufgibt? Die Antwort dürfte im Rathaus für einiges Unbehagen sorgen: Ole von Beust.

"Das HSH-Nordbank-Desaster ist angerichtet vom Bürgermeister und dem gesamten Senat", gab SPD-Chef Olaf Scholz schon am Tag nach Freytags Rücktrittsankündigung die neue Richtung vor. "Das Ziel der Kritik war nicht allein Herr Freytag, sondern die gesamte Politik des Senats", sagte auch SPD-Fraktionschef Michael Neumann dem Abendblatt.

Klar ist: Der künftige Finanzsenator Carsten Frigge (CDU) taugt zunächst nicht als Projektionsfläche für Angriffe, denn weder saß er wie Freytag im Aufsichtsrat der HSH Nordbank, noch sind ihm die Rekordverschuldung oder die Kostenexplosion bei der Elbphilharmonie anzulasten. Das bedeutet aber auch: Die Schutzschildfunktion, die Freytag für den Bürgermeister übernahm, kann Frigge nicht ausfüllen. Im Gegenteil: Da Beust mit dem 46-Jährigen gezielt einem langjährigen Weggefährten und Vertrauten - Neumann spricht gar spöttisch von einer "Marionette" - die Finanzbehörde überträgt, könnten die Finanzprobleme der Stadt künftig direkt dem Bürgermeister angelastet werden.

Gleichzeitig wird die SPD weiter versuchen, Frigge in die Affäre um die rheinland-pfälzische CDU zu verwickeln, die er 2005 im Wahlkampf beraten hatte. Dabei geht es um die möglicherweise gesetzeswidrige Verwendung von Fraktionsmitteln. Das ist zwar mehr das Problem der örtlichen Christdemokraten als das von Frigges Beratungsfirma C4, dennoch reichten die Hamburger Genossen gestern die x-te Kleine Anfrage dazu ein.

Doch auch Freytag wird sich noch kritische Fragen anhören müssen. "Sein Rücktritt ändert nichts daran, dass er vernommen wird", stellt Joachim Bischoff, Obmann der Linkspartei im PUA, klar. Er rechne aber nicht vor Ende des Jahres damit. SPD-Obmann Thomas Völsch hofft, dass es etwas schneller geht, bekennt aber: "Die dramatische Situation, dass ein amtierender Finanzsenator aussagen muss, ist natürlich weg." An der grundsätzlichen Frage ändere sich aber nichts: "Wer war wann über die bedrohliche Lage der HSH informiert?" Nach Freytags Abgang wird diese Frage nun vor allem dem Bürgermeister gestellt.

Sonntag, 28. Februar 2010

Der "böse" Zasrtrow-Kommentar zu Käßmann

Käßmann
Von Volker Zastrow
Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 28.02.2010, Nr. 8 / Seite 10

Politiker treten nicht zurück, weil sie wollen. Politiker treten zurück, weil sie müssen. Margot Käßmann musste zurücktreten - aber wir wissen nicht, warum. Sicher nicht aus Tapferkeit, wie Zeitungen titelten. Ihren Rücktritt hatte kaum jemand gefordert - denn so gut wie jeder, der einen Führerschein besitzt und Alkohol trinkt, hat in dieser Hinsicht kein reines Gewissen. Obendrein hatte sich der EKD-Rat bereits hinter seine Vorsitzende gestellt. Die trat dennoch zurück und machte daraus gleich wieder, was sie aus allem macht: ein Superding in eigener Sache, ihr Ding. Frau Käßmann zollte sich auch bei dieser auf den ersten Blick nicht einmal so günstigen Gelegenheit "Respekt und Achtung" und rühmte sich ihrer "Geradlinigkeit".

Es gibt Leute, die es kalt berührt, wenn jemand so treuherzig sein Eigenlob singt, und das noch in Verbindung mit jener Banalität des Blöden, die sich in Trunkenheitsdelikten am Steuer verwirklicht. Manch einen graust es gar, wenn das den Anlass überstrapazierende "zutiefst bereuen" gleich mit dem praktischen Autocredo kombiniert wird, tiefer als in Gottes Hand könne "du", sprich: "ich", sowieso nicht fallen. Also ziemlich hoch. Doch andererseits haben derlei narzisstische Inszenierungen auch viel hingerissenes Publikum - klar, das ist schließlich der Deal. Botschaften in selbstgerechter Sprache generieren dankbare Abnehmer. Es ist nichts gut in Afghanistan, es gibt kein Bier auf Hawaii.

Wer sein Publikum braucht, um sich Respekt und Achtung zu zollen, tritt nicht ohne Not von einem Amt zurück, das er mit jeder Faser geradlinig erstrebt und endlich errungen hat. Und schwerlich aus den von Käßmann genannten, großartigen Gründen. Nein, es gibt vermutlich andere, solche, die wir nicht kennen, die aber an den Tag gekommen wären, wenn Käßmann im Amt ausgeharrt hätte - und die sie es dann unweigerlich gekostet hätten. Dergleichen läuft nach Schema F, so toll und tapfer ist es nicht. Aber was eigentlich los war, geht dann niemanden mehr an, man kann stattdessen über Sexismus o. Ä. konfabulieren, und wer die wahren Hintergründe kennt, schweigt. Selbst große, laute Zeitungen.

Was wollten Sie sagen? Margot Käßmann sei keine Politikerin?

Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 28.02.2010, Nr. 8 / Seite 10

"Alte Garde" und junge grüne Bewegung

Herr Sheriff und die Revolution
Jedes Jahr im Herbst fährt die Künstlerin Parastou Forouhar nach Teheran, um ihrer ermordeten Eltern zu gedenken. Tagebuch einer Reise ins Herz der "grünen Bewegung"

Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 28.02.2010, Nr. 8 / Seite 8

Am 9. November flog ich nach Teheran. Die Willkommensansage im Flugzeug wird von einer verführerischen weiblichen Stimme vorgetragen, die einen Gruß entrichtet an die Märtyrer der Islamischen Revolution und der "Heiligen Verteidigung", an den verstorbenen und den noch lebenden Führer der Revolution und an die verehrten Passagiere. Während des Fluges Reisgerichte und ein Liebesfilm mit Hang zur Komödie, erotisch aufgeladen, aber ohne jeglichen Körperkontakt: eine Kunst, die die iranischen Regisseure kommerzieller Filme meisterhaft beherrschen.

Ich habe damit gerechnet, dass die Agenten des Geheimdienstes mich schon am Flughafen aufsuchen würden, um mir ihre Macht und Omnipräsenz vorzuführen. Aber ich erhalte ohne Schwierigkeiten den Einreisestempel in meinen Pass. Auf dem langen Weg nach Hause schaue ich aus dem Fenster, um vielleicht ein Zeichen der Veränderung, einen Hinweis auf den Volksaufstand zu entdecken.

Die Schilder entlang der Autobahn zeigen Mobiltelefone und Luxusartikel, daneben kalligraphierte Moralsprüche, die Banalitäten der modernen Konsumwelt neben den ideologischen Parolen des Gottesstaates. Die Autobahn führt am Zentralfriedhof vorbei, auf dem meine Eltern begraben liegen, vorbei am gigantischen Mausoleum des Imam Chomeini, und weiter, vorbei an Gemüsefeldern, von denen das Gerücht geht, sie würden mit dem Abwasser der Teheraner Haushalte bewässert.

Irgendwo im Herzen dieser Stadt, in einem alten Viertel, in einer engen Gasse, liegt mein Elternhaus. Ich zähme die Trauer und lache meine Tanten an, die sich im Haus versammelt haben, um mich willkommen zu heißen. Der alte Haushälter drückt liebevoll sein bärtiges Gesicht an das meine und serviert mir, noch bevor ich mich hingesetzt habe, ein Glas Tee.

Mittwoch, 11. November

Die Gedenkfeier für meine Eltern, die der iranische Geheimdienst 1999 ermordete, wird von ihren früheren politischen Weggefährten mitorganisiert. Es sind ältere Herren, die über Jahrzehnte ihre kritische Haltung gegenüber dem System bewahrt haben. Sie kennen meine Eltern seit ihrer Jugend. Für diesen Kreis ist es wichtig, dass ich als Angehörige der Opfer als Erste zum Gedenken aufrufe. Ihr Aufruf folgt dann dem meinen. So will es die Tradition, und so kann man vielleicht die politische Brisanz des Vorhabens mildern.

Ich spüre, dass die Anwesenden nur am Rande jener Bewegung stehen, die zurzeit die iranische Gesellschaft erschüttert. Sie sprechen in einer Mischung aus Bewunderung und Befremden von der Jugend des Landes als dem Motor der Bewegung. Sie wissen, dass sie kaum Einfluss auf das Denken und Handeln dieser Jugend haben. Sie sind überfordert und passiv.

Überfordert ist man nicht nur in dieser Runde. Am selben Tag treffe ich Aktivistinnen der Frauenbewegung, die unter Führung von Mansoureh Shojaie ein Frauenmuseum gründen wollen. Die Idee des Museums laviert am Rande der Machbarkeit - wie viele solcher Vorhaben, die die Paranoia und die Schikanen des Regimes herausfordern. Mansourehs engste Mitstreiterin ist skeptisch und ungeduldig. Ihre ganze Aufmerksamkeit ist auf die Ereignisse auf den Straßen, den Hauptschauplatz des Protests, gerichtet, wo Unerwartetes und Wertvolles passiert. Die Erregung hat sie wie ein Zauber in ihren Bann gezogen. Alle anderen Aktivitäten verlieren an Dringlichkeit. Sie sagt, sie sei überfordert damit, eine Balance zu finden zwischen ihrem alltäglichen und beharrlichen Kampf als Frauenrechtlerin und der Geschwindigkeit und mitreißenden Kraft der Volksbewegung.

Samstag, 14. November

Ich habe schon im Internet Bilder von der Kopfverletzung von Habibollah Peyman gesehen, die sich der 70 Jahre alte Oppositionelle bei einer Demonstration zugezogen hat. Mit einem Blumenstrauß besuche ich ihn in seiner Wohnung. Er spricht vom "Geist der nationalen Kultur Irans", der die Bewegung bestimme: Toleranz, Friedfertigkeit und Unterminierung statt Konfrontation. Er erzählt mir begeistert von den Demonstrationen, davon, wie die Jugend die Bewegung bestimmt. Wie viele aus seiner Generation, die die Radikalität in den Anfangsjahren der Islamischen Republik erlebt haben, hat er eine starke Abneigung gegen Radikalität. So sieht er in der Radikalität der Jugend eine Gefahr und möchte sogar gegen die Schlägertrupps des Regimes nicht radikal vorgehen.

Montag, 16. November

Am Nachmittag nehme ich in einer Moschee an einer Trauerzeremonie für die Mutter eines bekannten Intellektuellen aus dem säkularen, den Reformern nahestehenden Lager teil. Gekommen ist auch Mehdi Karrubi, einer der betrogenen Präsidentschaftskandidaten und Führungsfiguren der "grünen Bewegung". Als nach dem Ende der Zeremonie Karrubis Auto vorfährt, erscheint plötzlich eine Handvoll paramilitärischer Schläger. Sie trommeln mit flachen Händen auf die Motorhaube seines Wagens. Die Anhänger Karrubis, die ihn liebevoll "Scheich" nennen, bleiben ruhig und reißen verächtliche Witze. Karrubi steigt ein, verabschiedet sich winkend und formt die Finger zu einem Siegeszeichen.

Am Ende der Trauerfeier gehe ich zusammen mit einigen alten Freunden ins Café. Leute erkennen und beobachten mich, zeigen mir ihre Verbundenheit. Aber auch das Regime beobachtet mich - es kontrolliert meine Kontakte, hört meine Telefongespräche ab, schickt seine Spitzel, um mich auszuhorchen. Jeder weiß, dass ich vom Geheimdienst beobachtet werde, und die Reaktionen darauf sind unterschiedlich.

Unter meinen Freunden gibt es einige, die den öffentlichen Kontakt meiden. Sie rufen mich weder zu Hause an, noch erscheinen sie zur Gedenkfeier für meine Eltern. Sie möchten nicht von den Geheimagenten registriert werden. Wo diese Gefahr geringer ist, haben wir eine herzliche Beziehung. Dann nennen wir diese Agenten "James" und reißen Witze über sie. Obwohl ich ihr Verhalten verstehe, kränkt es mich. Beim Kaffee erzählen sie mir aber von ihren Erlebnissen bei den Demonstrationen, von den Zusammenstößen mit den Sicherheitskräften, von Flucht und Beharrlichkeit, von gegenseitiger Hilfe und Unterstützung. Auch sie sprechen immer wieder und hoffnungsvoll von "der Jugend"!

Ich habe auch andere Freunde, die ich im Kampf um die Aufklärung der politischen Morde gefunden habe. Viele von ihnen sind jünger als ich. Sie haben keine Erinnerung an die Revolution von 1979, und sie haben die Angststarre der achtziger Jahre nicht bewusst erlebt. Sie waren alle engagierte Journalisten oder Aktivisten der Studentenbewegung während der Reformzeit in den späten neunziger Jahren, voller Optimismus. Als die reformorientierten Zeitungen verboten wurden, fingen sie an, in Blogs und Websites zu schreiben. Sie besuchen mich jedes Mal, wenn ich in Iran bin, in meinem Elternhaus. Es ist eine besondere Mischung aus Pragmatismus, Aufrichtigkeit und Verletzlichkeit, die diese jungen Leute auszeichnet.

Am Abend kommt einer dieser Freunde - nennen wir ihn Ali - zu Besuch. Er schreibt für eine der wichtigsten Websites der "grünen Bewegung" und hat schon Tage vor meiner Abreise angekündigt, dass er mich mit einigen Freunden besuchen möchte, um mit mir ein Interview zu führen.

Ali kommt allein. Er sagt, die anderen hätten aus Vorsicht auf den Besuch verzichtet. Ali sieht die "grüne Bewegung" als geschichtlichen Wendepunkt in Iran - so wie die Revolution von 1979. Sie ziele auf einen Sturz des Regimes ab. Auch Ali spricht mit Bewunderung von der "Jugend des Landes", von aufregenden Szenen bei den Demonstrationen, wo die Initiative auf der Straße bei denen lag, die viel jünger sind als er mit seinen 30 Jahren. Er hat die unerwartete gewaltige Volksbewegung als ein historisches Geschehen erlebt, auch er hat den Zauber gespürt.

Ich höre ihm neidisch zu und versuche, diesen Zauber aufzuspüren. Aber meine eigene Erfahrung aus der Revolutionszeit zieht mich in die Vergangenheit zurück. Für Ali ist die Islamische Republik eine logische und unausweichliche Folge der Revolution von 1979. Für mich aber sind, noch nach so vielen Jahren, die Revolution und die Islamische Republik zwei grundverschiedene Phänomene.

Dienstag, 17. November

Bereits einige Tage vor dem Todestag meiner Eltern werden die Überwachungsmaßnahmen verschärft. Die Zahl der Agenten in unserem Viertel wird erhöht, und sie zeigen sich auffälliger. Die Telefonleitung wird willkürlich unterbrochen, immer wieder heulen die Motorräder der paramilitärischen Schlägertrupps auf, die vor unserer Haustür scharf bremsen. Der aggressive Lärm von Motorrädern ist in Teheran zu einem Warnsignal für die Ankunft von Schlägertrupps geworden.

Dann werde ich angerufen und vorgeladen. Wie in den letzten fünf Jahren verbieten mir Vertreter der Sicherheitskräfte offiziell, den Gedenktag abzuhalten. Einige dieser Agenten kenne ich schon. Ihr Chef, der ironischerweise "Sheriff" mit Nachnamen heißt, sagt mir, er führe nur Befehle aus. Im Protokoll, das mir zur Unterschrift vorgelegt wird, sind als Begründung des Verbots "Verkehrsprobleme" angegeben. Ich muss lachen und mache ironische Bemerkungen darüber. "Frau Parastou!", sagt Herr "Sheriff", "Sie sind eine erfahrene Frau und wissen, dass es sich hierbei nur um eine Formalität handelt!" Die Lüge ist also im islamischen System zu einer Formalität geworden.

Dienstag, 24. November

Zwei Tage später gehe ich zum Treffen einer Frauengruppe, die sich "Mütter für den Frieden" nennt. Die Versammlung findet in der Wohnung einer jener Mütter statt, die ihre Söhne bei den Sommerunruhen verloren haben. Ich rede von unserem Recht auf Wahrheit und Gerechtigkeit, ohne in die Falle von Rache und Gewalt zu geraten. Sie können meinen Standpunkt nachvollziehen, aber ihr Wunsch nach Vergeltung ist stark. Auch ich kenne dieses Gefühl gut. Es ist zu einem ständigen, sabotierenden Begleiter meines Verstandes geworden. Die Frauen versuchen, am friedlichen Ansatz festzuhalten, vielleicht auch, um angesichts der Brutalität die eigene Menschlichkeit zu bewahren. Man will den mühsam errungenen Gewaltverzicht nicht aufgeben - auch wenn der Preis an die Grenzen des Erträglichen geht.

Freitag, 27. November

In einer Galerie in Teheran wird meine Ausstellung eröffnet. Die Kontrolle des Regimes über die Galerien ist schwächer geworden, und jeder kleine Rückzug des Regimes wird genutzt, um den eigenen Lebensraum zu vergrößern. Trotzdem ist das Vorhaben ein Wagnis und erfordert gewisse Vorsichtsmaßnahmen. Die Einladungen wurden nur an sichere Adressen geschickt. Es gibt keine Pressemitteilung. Trotzdem ist die Galerie bei der Eröffnung sehr voll. Der Raum ist geladen mit Gefühlen und Gesprächen über den politischen Widerstand.

Samstag, 5. Dezember

Als ich nach Deutschland zurückreisen will, werde ich am Flughafen von Agenten des Geheimdienstes aufgehalten. Sie konfiszieren meinen Reisepass. Der Geheimdienst hat beim Revolutionsgericht Anzeige gegen mich erstattet. Der Büroleiter der zuständigen Abteilung im Revolutionsgericht scheint von meiner Situation überrascht und fragt mit sanfter Stimme, warum man mir denn Probleme beschert. Er tröstet mich und rät mir "brüderlich" zur Geduld. Ich erwidere höflich, aber distanziert. Mein Misstrauen gegenüber einem freundlichen Büroleiter und seinen "brüderlichen Ratschlägen" rührt von meinen langjährigen Erfahrungen mit dem System her. Schon im Vorfeld der Reise habe ich versucht, mich auf härtere Reaktionen vorzubereiten, mir unterschiedliche Situationen vorzustellen, um meine innere Haltung zu festigen.

Samstag, 12. Dezember

Nach einigen Tagen werde ich zum Gespräch mit dem "Spezialisten" des Geheimdienstes vorgeladen, der die Anzeige gegen mich veranlasst hat. Das Gebäude, in dem ich vorstellig werde, kennt man in Teheran als das "steinerne Gebäude". Die hohen Mauern, die das Gebäude umschließen, sind aus furchteinflößenden grauen Steinblöcken. Zwei mir schon bekannte Agenten erwarten mich. Einer der Männer sitzt hinter dem Schreibtisch, der andere, mir gegenüber, führt das Verhör. Er starrt mich böse an. Ich starre zurück und denke an eine Zeit, als Agenten wie diese die religiösen Vorschriften befolgten und Frauen nicht direkt ins Gesicht blickten. Nach einer Weile des gegenseitigen Anstarrens beginnt der Agent, mich mit lauter Stimme mit Anschuldigungen zu überschütten.

Nach den Verleumdungen geht er zu Drohungen über: Das Regime sei bisher sehr geduldig mit mir gewesen, aber wenn ich so weitermache, werde ich einen hohen Preis zahlen. Ich frage, was er denn mit einem "hohen Preis" meine? 10 Jahre? 15 Jahre? Ich denke, dass ich das aushalten könnte. Nun beginnt der andere Agent, mir einige suggestive Fragen über meine Söhne und mein Privatleben zu stellen. Diese Fragen sollen mir zeigen, dass ich beobachtet werde, dass ich durchsichtig bin. Ich antworte ruhig und unbeteiligt wie einem neugierigen Nachbarn. Ich möchte zeigen, dass ich nichts zu verbergen habe und mir diese Durchsichtigkeit nichts ausmacht. Ich solle seine Worte in Erinnerung behalten, sagt der Vernehmer am Ende drohend und kündigt an, dass mir mein Pass "in Kürze" zurückgegeben werde.

Montag, 21. Dezember

Das "in Kürze" zieht sich in die Länge. Das Warten treibt mich in die Passivität. Schikanen gegenüber passiv zu werden ist das Schlimmste für mich und das Beste für das Regime. Als ich endlich meinen Pass zurückbekomme und vor meiner Abreise ein letztes Mal durch unser Viertel spaziere, erhalte ich eine SMS: "Montazeri ist tot!" Im Morgengrauen fahre ich mit dem Taxi zum Flughafen, ich schaue aus dem Fenster, um vielleicht Menschen zu entdecken, die wie ich zum Zeichen ihrer Trauer über den Tod des angesehenen Großajatollahs schwarz gekleidet sind, so wie es die "grüne Bewegung" vorgeschlagen hat. Als das Taxi auf der Autobahn in Richtung Flughafen abbiegt, denke ich daran, dass andere weiterfahren in Richtung Ghom, um bei der Beerdigung des Großajatollahs zu demonstrieren und wieder den Ruf nach Freiheit erschallen zu lassen.

Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 28.02.2010, Nr. 8 / Seite 8