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Sonntag, 21. Februar 2010

Curling

Curling
VON STEFAN NIGGEMEIER
FAS, 21.2.2010

Von mir aus könnte das ewig so weitergehen mit diesem Olympia. Ungefähr immer, wenn ich gucke, läuft gerade Curling, eine Sportart, die von den Kommentatoren reflexartig "Schach auf Eis" genannt wird, obwohl ich "Mühle auf Haschisch" treffender fände. Die hypnotische Wirkung als Fernsehsendung, gerade in der Dämmerphase kurz vor dem Einschlafen, liegt irgendwo zwischen den "schönsten Bahnstrecken der Welt", die die ARD sonst anstelle der nächtlichen Olympia-Sendungen abfährt, und einer Liveübertragung vom Trocknen frisch aufgetragener Farbe, und ich meine das positiv.

Sympathisch am Curling ist schon, wie sehr es sich den üblichen Inszenierungsmustern olympischer Spiele im Fernsehen entzieht. Mag zum Beispiel sein, dass diese Schrubber Hochpräzisionsgeräte sind, die durch technischen Fortschritt den Sport immer wieder in neue Dimensionen führen - aber dass eine ernsthafte, skandalträchtige oder gar stammtischtaugliche Diskussion wie um die Wunderbindung der Schweizer Skispringer ausbricht, ist dann doch eher unwahrscheinlich. Dramatische Slow-Motion-Aufnahmen sind unnötig, weil der Wettbewerb selbst freundlicherweise schon in Zeitlupe stattfindet. Gelegentlich versuchen die Fernsehleute, die Höhepunkte einer Partie trotzdem zu den klassischen Collagen mit whitneyhoustonesker Musik zusammenzuschneiden - aber da sieht man dann nur, wie Leute, die auch gerade aus dem Kegelclub in der Eckkneipe dahin geschlendert sein könnten, auf dem Eis knien und Grimassen schneiden, die vermutlich die Curlingsteine einschüchtern sollen, und wirkt entsprechend unangemessen.

Ich schreibe das natürlich aus der Perspektive pubertärer Ignoranz, die aber ganz angenehm ist beim entspannten Zuschauen und sich auch nicht so groß von den Fachkenntnissen der Fernsehkommentatoren zu unterscheiden scheint. Die Grundregeln sind in zwanzig Sekunden erklärt, obwohl sich die Sprecher alle Mühe geben, den Mythos einer verborgenen Komplexität aufzubauen und sie deshalb alle dreißig Sekunden wiederholen. Und wenn sich die Kommentatoren mal nicht darauf beschränken, das zu beschreiben, was man eh sieht, sondern vorherzusagen, welche Strategie der Skip (!) als Nächstes anwenden wird, kann man darauf wetten, dass der Mann oder die Frau das Gegenteil tut (woraus sich auch ein schönes Trinkspiel machen ließe, wenn das nicht viel zu anstrengend wäre).

Neulich ist einer der Wischer ausgerutscht. Ist aber nichts passiert.

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