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Montag, 16. August 2010

Trittin: CDU hat Modernisierung "brutal" gestoppt

Im Gespräch: Jürgen Trittin, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag
"Die CDU entfernt sich von der Mitte der Gesellschaft - nach rechts"
Seine Forderung, auch mit den dunklen Mächten Afghanistans zu verhandeln, verteidigt Jürgen Trittin als alternativlos. Für Schwarz-grüne Bündnisse, die strategische Alternative seiner Partei, sieht der Fraktionsvorsitzende die Chancen schwinden.

FRAGE: Herr Trittin, Sie haben vorhergesagt, in Afghanistan müsse man Taliban-Führer Mullah Omar und den Warlord Hekmatyar über kurz oder lang an der Macht beteiligen. Wäre das nicht die völlige Niederlage auch Deutschlands angesichts der ursprünglichen Ziele?

ANTWORT: Das ist nicht meine Forderung, sondern die offizielle Position der afghanischen Regierung. Sie fordert, diese beiden, die schwerster Verbrechen verdächtig sind, von der Terrorliste zu nehmen und in Afghanistan zu reintegrieren. Auf der Kabul-Konferenz ist dabei auch der deutsche Außenminister nicht aufgestanden, um zu protestieren. Ich muss also unterstellen, dass diese Forderung der afghanischen Regierung von der internationalen Gemeinschaft inklusive der Bundesregierung geteilt wird. Das gilt auch für die Reintegration von anderen Taliban, für die in Kabul eigens ein Minister zuständig ist, begleitet von einem britischen Zwei-Sterne-General. Man kann zu dem Schluss kommen, dass es keine Alternative zu dieser Lösung gibt. Dann frage ich aber: Was sind die Bedingungen? Was müssen die Taliban-Führer zusagen, damit man sich mit ihnen auf einen Deal einlässt? Was ist die rote Linie? Reicht es zu sagen, wir greifen nie wieder Amerika oder Europa an? Oder gehört dazu auch die Bedingung, die Menschenrechte zu beachten, die Rechte von Frauen, das Recht, eine Schule oder Universität zu besuchen? Wenn nicht, wäre das die totale Aufgabe.

FRAGE: Die Grünen sind schon in der vergangenen Wahlperiode nach dem Gang in die Opposition von ihrer mehrheitlichen Zustimmung zum Afghanistan-Mandat abgerückt. Inzwischen findet sich kaum mehr jemand, der den Isaf-Einsatz ausdrücklich befürwortet. Die vernehmbarste grüne Stimme zu diesem Thema ist inzwischen der Parteilinke Ströbele. Deutet das auf eine breite Ablehnung des Mandats durch die Grünen in Zukunft hin?

ANTWORT: Wichtige Verbündete wie die Niederlande, Kanada und Polen haben - schon langfristig - ihren Abzug in den nächsten Jahren angekündigt. In Deutschland wird diskutiert: Wie lange müssen wir noch dableiben, damit Afghanistan nicht ins Chaos zurückfällt? Bei unseren Verbündeten wird diskutiert: Was können wir noch schaffen, bis wir 2014, 2012, oder 2011 rausgehen? Insofern wäre ich zurückhaltend, so ostentativ auf Hans-Christian Ströbele zu zeigen. Das heißt nicht, dass nicht auch nach 2014 immer noch Soldaten in Afghanistan sein dürften, aber keine Kampftruppen mehr.

FRAGE: Der Einsatz hat in Deutschland den öffentlichen Rückhalt verloren, als die Aufständischen begonnen haben, die deutschen Soldaten kriegsartig anzugreifen. Heißt das für künftige Einsätze, dass sie politisch nurmehr tragbar sind, wenn nicht die spezifischen militärischen Fähigkeiten der Bundeswehr gefordert sind?

ANTWORT: Man muss sehen, was die Risiken und Gefahren in der Welt sind. Probleme resultieren aus Staatszerfall und innerstaatlichen Konflikten. Staatszerfall wird begünstigt durch den Kampf um Rohstoffe, durch die Folgen des Klimawandels. Sehen Sie nur die Überschwemmungskatastrophe in Pakistan, die zu einem massiven Autoritätszerfall der gewählten Regierung und damit zu einer Stärkung der Taliban und der Al-Qaida-Kräfte führt. Daraus entwickeln sich Gefahrenlagen, die kein Land der Welt allein beherrschen kann. Davon kann sich aber auch kein Land einfach verabschieden im Sinne einer kleinkindlichen Regression: Wenn ich die Augen zumache, dann sieht mich keiner. Zu glauben, wenn man in Afghanistan schnell abzieht, dann würde kein Terror nach Deutschland kommen, ist naiv. Solche Herausforderungen können nicht allein und nicht hauptsächlich militärisch gelöst werden, bedürfen aber manchmal der militärischen Beteiligung. Daher wird es Aufgabe der internationalen Gemeinschaft bleiben, Staatszerfall zu verhindern und in gewissen Bereichen rückgängig zu machen. Dafür braucht man nicht nur Entwicklungshelfer, dafür braucht man viel mehr als bisher gedacht Polizei. Und damit die dort agieren kann, braucht man temporär multilaterale Militäreinsätze unter einem Mandat der Vereinten Nationen. Das werden wir auch künftig haben, darauf müssen wir unsere Polizei und die Bundeswehr einstellen.

FRAGE: Verteidigungsminister zu Guttenberg hat sich ja gerade vorgenommen, die Bundeswehr zu reformieren und stärker auf Einsätze auszurichten. Dazu prüft er auch eine Aussetzung der Wehrpflicht. Das müsste doch Ihren Forderungen entgegenkommen?

ANTWORT: Karl-Theodor zu Guttenberg wird in dieser Frage offensichtlich von der Realität getrieben. Er steht vor der Frage: Soll ich 20 000 Fachkräfte einsparen, damit 50 000 Amateure von 15 000 Animateuren beschäftigt werden? Da hat er mit Recht gesagt, wir müssen uns auf die Kernaufgaben konzentrieren, also Stabilisierungseinsätze unter UN-Mandat. Dafür brauchen wir keine 250000-MannArmee, dafür ist die Wehrpflicht nicht tauglich. Das stößt aber offensichtlich nicht nur in der CSU, sondern auch in der SPD, wie Äußerungen von Herrn Gabriel belegen, auf extreme ideologische Vorbehalte. Deswegen ist es sehr spannend zu sehen, wie diese Diskussion ausgeht. Die ehrliche und konsequente Lösung wäre, die Wehrpflicht ganz abzuschaffen. Wenn es mit einem Aussetzen zum gleichen Ergebnis führt, dann bin ich ja Pragmatiker genug. Ich fürchte allerdings, dass Herr zu Guttenberg hier seine zweite große Niederlage erleidet.

FRAGE: Was war demnach die erste?

ANTWORT: Er wäre ja gerne Wirtschaftsminister geblieben.

FRAGE: Man hört jetzt von Grünen aller Parteiflügel, dass die Union sich von Ihnen wegbewege und das Modell Schwarz-Grün immer unwahrscheinlicher werde. Bleibt also den Grünen nur noch die Bündnisoption mit der SPD oder, wenn das nicht reicht, ein "Rot-Grün-Plus"?

ANTWORT: Die Grundlinie der Grünen - ökologische Modernisierung, Wahrung der Bürgerrechte und soziale Gerechtigkeit durch Teilhabe - hatte schon immer mehr Überschneidungen mit der SPD als mit der CDU. Modernisierungsversuche der CDU unter der Vorsitzenden Angela Merkel in der Familien- und in der Umweltpolitik sind brutal gestoppt worden. Das Elterngeld wird für die Ärmsten der Armen zusammengestrichen, aber Hausfrauen sollen es weiter kriegen. Da entfernt sich die CDU von der Mitte der Gesellschaft und damit auch von den Grünen. Auch in der Umweltpolitik schlägt sich in jedem Konflikt, den Minister Röttgen mit dem Wirtschaftsminister hat, seine eigene CDU/CSU-Fraktion auf die Seite des FDP-Ministers. Auch auf kommunaler Ebene brechen ganz viele schwarz-grüne Bündnisse. Da ist schon ein Ruck nach rechts. Das zeigen auch die Konsequenzen, die die CDU aus dem Volksentscheid in Hamburg zieht. Die Besinnung auf den konservativen Kern droht den Volksparteicharakter der CDU in Frage zu stellen. Wahrscheinlich heißt das am Ende, dass wir eine stärkere Gewichtung haben werden für rot-grüne Zusammenarbeit.


FRAGE: Konfrontation hat aber auch der SPD-Vorsitzende Gabriel mit den Grünen gesucht, denen er Beliebigkeit vorwarf. Fürchtet er, dass die Grünen den Roten zu viele Wechselwähler wegnehmen?

ANTWORT: Wenn Sigmar Gabriel den Grünen Beliebigkeit vorwirft, sehen wir das ziemlich gelassen. Ich glaube, er hatte an dieser Stelle ein Problem. Er musste ganz dringend von dem Streit innerhalb der SPD über die Rente mit 67 ablenken. Diesen Mechanismus kenne ich. Wenn in der SPD Streit in den eigenen Reihen herrscht, ist Grünen-Bashing angesagt. Mein persönliches Verhältnis zu Gabriel bleibt deswegen ungetrübt.

FRAGE: In Berlin liegen die Grünen in Umfragen nahezu gleichauf mit der SPD. Wenn sich Renate Künast, die neben Ihnen Bundestags-Fraktionsvorsitzende ist, entscheiden sollte, das Amt des Regierenden Bürgermeisters anzustreben, hätte sie dann die Unterstützung der gesamten Fraktion?

ANTWORT: Ja. Egal, wie Renate sich im Herbst dieses Jahres entscheidet, sie wird die Rückendeckung der gesamten Fraktion an dieser Stelle haben.

Die Fragen stellte Stephan Löwenstein.

Text: F.A.Z., 16.08.2010, Nr. 188 / Seite 2

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