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Dienstag, 10. August 2010

Valencia,Cabanyal: Gegen Modernisierung durch Abriss

Sinuskurven für die Silhouette
Gegen Modernisierung durch Abriss: In Valencia wehrt sich das Viertel El Cabanyal

VALENCIA, im August

Der Streit um Valencias historisches Stadtviertel El Cabanyal, ein idyllisch am Meer gelegenes barrio, schwelt schon lange. Im Jahr 1993 hatte die autonome Regierung von Valencia das ehemalige Fischerdorf wegen dessen einzigartiger baulicher Substanz unter Denkmalschutz gestellt. Aber bereits wenig später wollten die regierenden Regional- und Stadtpolitiker von den schützenswerten Bauten, die entfernt an die Jugendstilformen der katalanischen Architekten um Antoni Gaudí erinnern, nichts mehr wissen. Viele Kommunalpolitiker waren vom hemmungslosen Immobilienwachstum geblendet, das unter der achtjährigen Regierungszeit des Ministerpräsidenten José María Aznar exorbitante Gewinne versprach. Zahllose Spekulanten träumten damals vom Geldregen, wenn erst einmal große Teile des zentrumsnahen Küstenviertels abgerissen und in Luxusappartements, hochwertige Büros und lukrative Hotels für zahlungskräftige Kunden umgewandelt sein würden.

Um die Modernisierung der Meereszone besser vorantreiben zu können, ersann die konservative Stadtregierung einen städtebaulichen Plan, der darauf abzielt, eine bis zu 150 Meter breite und achthundert Meter lange Verkehrsschneise durch das städtische Gewebe zu schlagen. Zweitausend Bewohner würden dadurch vertrieben und 1600 Wohnungen zerstört. Als Folge befürchten Experten, dass das bislang homogene Stadtviertel in zwei Teile auseinanderbrechen würde. So stehen die Bewohner und Denkmalschützer den Immobiliengesellschaften und Stadtpolitikern zusehends unversöhnlich gegenüber.

Sollte sich das Vorhaben durchsetzen, wäre das Schicksal einer einzigartigen, ausschließlich in El Cabanyal vorherrschenden Bautradition besiegelt. Bis heute zeichnet sich das Viertel durch lange geradlinige Straßenzüge aus, die die Fischer parallel anordneten, damit sie ihre Netze besser ausbreiten konnten. Das heutige Erscheinungsbild geht aufs Ende des neunzehnten Jahrhunderts zurück: Nachdem die Hütten der Siedlung einer Brandkatastrophe zum Opfer gefallen waren, baute man zwei- bis dreistöckige Wohnhäuser mit zahlreichen architektonischen Eigenheiten. Die alternierenden Geschosshöhen, die wie Sinuswellen den Straßenverlauf markieren, bilden seither das unverwechselbare Panorama des Viertels.

Die Wohnhausbebauung brachte unter der mediterranen Sonne Valencias eine heitere und populäre Spielart des modernisme hervor. Auffallend sind die mit farbigen Kacheln dekorierten Fassaden, die an die andalusischen azulejos erinnern. Allerdings kopierten die Baumeister des Cabanyal keine bestehenden Stile, lieber schöpften sie aus eigenem Fundus. Hier finden sich ganz selbstverständlich traditionelle Formen wie Segmentgiebel und Voluten neben Erkern, die an ausgezogene Ziehharmonikas erinnern, oder katholischen Kultobjekten wie himmelblauen Marienstatuen und purpurroten Prozessionsfahnen, die der Semana Santa Marinera, dem lokalen Osterfest, entstammen.

El Cabanyal zeichnete sich lange durch seine homogene Sozialstruktur mit enger Nachbarschaftsbindung, kleinen Läden, Werkstätten und Künstlerateliers aus. Erst der angekündigte Teilabriss führte dazu, dass viele Bewohner abwanderten und die Verwahrlosung fortschritt. Dennoch ließen sich die Dagebliebenen nicht entmutigen, und im Frühjahr mobilisierte die Bürgerinitiative "Salvem El Cabanyal" eine lautstarke Demonstration, die sogar im fernen Madrid widerhallte.

Der Widerstand im Fischerviertel konnte zwar nicht verhindern, dass wenig später die Bagger anrollten, aber nun meldete sich in Madrid die spanische Kulturministerin Ángeles González-Sinde zu Wort. Sie forderte die Stadtverwaltung von Valencia auf, den städtebaulichen Plan für El Cabanyal aufzugeben, da er gegen den Denkmalschutz verstoße. Rückendeckung bekam die Ministerin vom Obersten Gerichtshof, der bemängelte, durch das Vorhaben könnten irreparable Schäden an den historischen Baudenkmälern entstehen. So weitete sich der Widerstand gegen das ungeliebte Projekt auf das ganze Land aus. Die Madrider Akademie der Schönen Künste und die einflussreichen Architektenkammern schlossen sich dem Protest an.

Auch Oriol Bohigas, der Grandseigneur unter den spanischen Architekten, mischte sich ein. Sein Wort hat Gewicht, weil der von ihm durchgeführte Stadtumbau Barcelonas und seine Umgestaltung der dortigen Altstadt als vorbildhaft gelten. Bohigas geißelt die in Valencia geplante Verkehrsschneise, die sich durch bestehende Häuserzeilen fräsen soll, als barbarischen Akt, der am ehesten an die maßstablosen Stadterneuerungen des neunzehnten Jahrhunderts erinnere. Er forderte, El Cabanyal müsse in seiner Einzigartigkeit bewahrt und behutsam modernisiert werden: "Ein guter Stadtplaner weiß sehr wohl, wie man eine Avenida bis zum Meer verlängert, ohne dabei ein historisches Stadtviertel zu zerstören." In Barcelona hat Bohigas genau das vorgemacht. KLAUS ENGLERT

Text: F.A.Z., 10.08.2010, Nr. 183 / Seite 32

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